Baby on Bike! Das große 1×1 der Babymitnahme im Lastenrad

Babymitnahme im Lastenrad: Ab wann darf es mit? Wie nimmt es im Rad Platz? Welches Lastenrad ist das Richtige? Sicherheit und Fahrspaß? Im Interview zeigt Cargobike-Expertin, Zweifach-Mama und 365-Tage-Lastenradlerin Karen Rike Greiderer auf, worauf es beim Lastenrad fahren mit Baby von null bis zwölf Monaten ankommt. Eltern-Hacks inklusive!

Rädertypen und Ausstattung für die Babymitnahme

Karen, wie sieht das perfekte Lastenrad für die Babymitnahme aus?

Für jedes Familiensetting gibt’s passende Lastenrad-Modelle, denn Familien und ihre Alltage sind individuell. Das perfekte Familienrad kann nur so perfekt sein, wie die Familie ihre Mobilitäts-Bedürfnisse im Fahrradalltag kennt.

Geht’s etwas präziser? Wie sollte ein Lastenrad für die Babymitnahme ausgestattet sein?

Ich empfehle ein vollgefedertes Lastenrad oder ein Rad mit einer gefederten Box, in welcher der Babysitz montiert wird. Dieser Sitz kann ergänzend gegen Stöße gepolstert werden. Im ersten Lebensjahr empfehle ich den Sitz so einzubauen, dass es zwischen Nachwuchs und Eltern Blickkontakt gibt. Zwei weitere Must-Haves:

  1. Sonnenschutz! Babys reagieren schnell gereizt, wenn die Sonne blendet. Ich empfehle ein Sonnensegel oder Schirmchen. Eine Schirmmütze allein reicht nicht.
  2. Ein Verdeck zum Schutz vor Zugluft und Wetter.

Fährt sich ein einspuriges oder zweispuriges Lastenrad besser mit Baby?

Einspurige Räder haben ein stabileres Fahrverhalten. Man nehme nur das Bild einer nicht abgesenkten Bordsteinkante: Da rollt ein Long John leichter rauf und runter als ein Trike. Das Dreirad wiederum steht stabiler. An der Ampel sitzt man wie auf einem Stuhl, die Füße auf den Pedalen. Da wackelt nix.

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Unbedingt ausprobieren!

Gibt es Lastenräder NUR für die Babymitnahme?

Nein, die meisten Modelle für die Kindermitnahme bieten auch Babytransport-Optionen.

Gibt es Lastenräder, die zugleich Kinderwägen sind?

Ja, es gibt Hybridmodelle, die z.B. per Klappmechanismus Kinderwagen und Fahrrad vereinen, oder Leichtbaumodelle aus Carbon, bei denen man per Schnellverschlusssystem den Vorderteil des Rades abkoppeln und wie ein Wagerl schieben kann. Sehr praktisch!

Wie nimmt ein Baby in der Box Platz?

Es gibt Modelle mit eigens konstruierten Lösungen, zum Beispiel Hängematten zum Einspannen. Dann gibt es Radmodelle die greifen auf Transportschalen zurück, in denen das Baby liegt. Die Schalen, z.B. Maxi Cosi oder Weber Schale, werden mit einer radeigenen Konstruktion oder mit Spanngurten in der Box montiert – das ist herstellerspezifisch. Für die ganz Kleinen von null bis drei Monaten nutzt man zusätzlich Sitzplatzverkleinerungen. Alle diese Möglichkeiten wachsen etwa eineinhalb Jahre mit und passen zur körperlichen Entwicklung des Babys.

Ab wann braucht ein Baby keinen eigenen Sitz mehr?

Von Babys spricht man von null bis 12 Monaten. Danach ist es offiziell ein Kleinkind. Und die sitzen in der Regel stabil und können auf den Kindersitzen im Rad Platz nehmen. Eltern sollten da immer ihr Kind ganz individuell im Blick haben. Transportschalen und Hängematten können nämlich auch länger genutzt werden und das Kind hat es da im Rad ganz komfortabel!

Können Eltern bei der Babymitnahme im Lastenrad etwas falsch machen?

Nicht wirklich. Auch aus rechtlicher Sicht lässt die StVZO den radelnden Eltern viel Spielraum: Ein geeigneter Sitz mit Gurt ist ausreichend. Anschnallen ist Pflicht! Eine Fahrt mit Baby im Tragetuch ist verboten. Aus Entwicklungsperspektive des Babys ist es falsch, es in eine nicht entwicklungsgerechte Position zu bringen – z.B. es zu früh hinzusetzen. Zu früh ist, wenn das Baby aufrecht platziert wird, obwohl es das aus eigener Kraft noch nicht macht. Das Alter ist da irrelevant. Und der Vollständigkeit halber noch drei NoGos: Ein „wildes“ Fahrfahrhalten der Eltern, zu lange Touren ohne Pause fürs Baby sowie schnelle Fahrten über ruckelige Wege. Letzter Punkt: Das Rad sollte in einem tadellosen Zustand und von Radprofis geprüft sein.

Ab wann fährt das Baby mit?

Dazu gibt es unterschiedliche Empfehlungen von Lastenradherstellern und medizinischem Fachpersonal. Manche sagen „ab sofort“ weil das Baby ja direkt nach Geburt auch in eine Babyschale rein darf. Andere sagen, ab drei Monaten, weil Babys dann eine eigene Körperspannung mitbringen und das Köpfchen selbst halten können. Und dann gibt es welche, die sagen, noch später…

Muss das Baby einen Helm aufsetzen?

In Deutschland gibt es keine Helmpflicht für Kinder und Nicht-Sitzer-Babies werden liegend transportiert. Ein Helm schadet da Rücken und Wirbelsäule! Es gibt auch keine so kleinen Fahrradhelme… Hinweis zum Radeln mit Baby in Österreich: Hier haben Kinder Helmpflicht – auch im Lastenrad!

Ab wann bist du mit deinen Kindern geradelt?

Die Erstgeborene saß mit etwa drei Monaten das erste Mal in der Babyhängematte des Fahrradanhängers und ab etwa anderthalb Jahren regelmäßig in einem Leih-Lastenrad, bevor ein Cargobike bei uns einzog. Bei der Zweiten ist vieles anders. Darum fand ihr erster Mini-Cargobike-Ausflug bereits mit sieben Wochen in einer Weberschale statt. In dem Kontext finde ich eine andere Frage total wichtig. Nämlich: Ab wann fährt die Mama mit?

Einfach ruhig angehen und sich keinen Stress machen

Wie meinst du das: „Ab wann fährt die Mama mit?“

Ich bin Fan einer feierlichen und regenerierenden, achtwöchigen Wochenbettzeit. Es gilt das Credo: Alles aus der Kraft – nichts aus der Not(wendigkeit). Besonders im Wochenbett. Aus eigener Erfahrung haben Mamas ein paar Wochen nach der Geburt wieder Lust, unterwegs zu sein. Parallel entwickelt sich das Baby so rasant! Der Radius erweitert sich schnell. Zugleich dauert es ein Jahr, bis sich der Körper nach einer natürlichen Geburt regeneriert hat. Darum empfehle ich allen Frauen vor der ersten Radfahrt – egal ob mit oder ohne Baby – ein Gespräch mit der Hebamme oder Frauenärztin: Fokus auf Rektusdiastase, Symphyse, Brust und Beckenboden, sowie den Entwicklungsstand des Babys. Wenn sie das „Go“ geben, kann’s losgehen; sofern die Mama mental bereit ist, nicht zittrig wird beim Radfahren oder von Emotionen überschwemmt wird und sich nicht so richtig aufs Fahren konzentrieren kann. Dann ist es zu früh. Auch wenn z.B. der Partner das Lastenrad mit Baby fährt.  

Worauf bei der ersten Ausfahrt achten?

Minimaler Input von außen: Eine ruhige und kurze Route wählen, die beliebig erweitert werden kann wenn es gut läuft; ganz ohne Autoverkehr mit guter Bodenbeschaffenheit. Ebenfalls hilfreich ist es, unzählige Stopps zu akzeptieren, also kein fixes Ziel zu einem bestimmten Zeitpunkt zu haben. Zu guter Letzt eine Tageszeit, in der Baby und Mama für üblich gut drauf sind. On top: Gelassenheit und Heiterkeit! Babys merken sofort, wenn der Ruhepuls der Eltern steigt und spiegeln das mit direktem Feedback.

Ist es ratsam Babys Wach- oder Schlafphasen für die Radtour abzupassen?

Schwierig. Manche schlafen beim ersten Ruckeln friedlich ein, obwohl das Mittagsschläfchen gerade vorbei ist. Manche kommen nicht zur Ruhe obwohl sie müde sind. Sie brauchen viele Stopps und immer wieder die Gewissheit: „Wenn ich weine, nimmt mich Mama oder Papa raus, kuschelt mit mir und gibt mir was ich brauche. Wenn ich bereit bin, geht die Fahrt weiter.“ In den ersten sechs Monaten ist jede Fahrt tagesformabhängig. Erst dann spielen sich Routinen ein und die Eltern wissen, wann es gut ist, das Baby ins Rad zu setzen. Apropos Phasen: Es hilft Eltern zu wissen, dass sich diese Stop’n’Go Phase – wie alle Phasen – legt und die Fahrten unterbrechungsfreier werden. Bei jedem Baby-Update kann es – je nach Temperament des Kindes – wieder zu diesen Stop-N-Go Radeln kommen.

Wann ist ein guter Zeitpunkt für den Lastenradkauf?

Der richtige Zeitpunkt zum Lastenradkauf hängt von drei Faktoren ab:

  1. Wie wichtig ist den Eltern der Kauf eines bestimmten Radmodells. Die Lieferzeiten sind bei manchen Herstellern lang – gern mal mehr als sechs Monate! Aktuell sind die Lager aber gut voll.
  2. Wie passioniert radeln die Eltern vor der Geburt?
  3. Gibt es in der Familie Geschwisterkinder? Im Detail: Beim ersten Kind gehört ein Lastenrad oder Kinderanhänger nicht zur Erstausstattung. Werden passionierte Radfahrer:innen, die autofrei leben, zum ersten Mal Eltern, sieht das auch wieder anders aus. Ist das zweite Kind im Anmarsch, kann das Lastenrad den Eltern die Schwangerschaft und erste Zeit als vierköpfige Familie enorm versüßen. Da macht Proberadeln und Kauf in der Schwangerschaft Sinn – aber nur, wenn die Mama auch radelt und ausprobiert!

Baby + Kind im Lastenrad

Apropos Geschwisterkinder: Worauf ist da zu achten?

Wollen Eltern das Baby mitsamt der Geschwisterkind(er) im Lastenrad transportieren, ist bei der Modellwahl genau hinzuschauen. Ein Babysitz schluckt gern mal zweieinhalb von drei Plätzen in der Transportbox. Bei einem Lastenrad mit drei Kindersitzen könnte bei der Montage des Babysitzes nicht mehr als ein schmaler Platz fürs Geschwisterchen übrig bleiben. Unbedingt bei der Modellauswahl darauf achten! 

Was machen Eltern von Zwillingen und Mehrlingen?

Zwillingseltern achten beim Lastenradkauf darauf, dass zwei Babyschalen oder Hängematten in die Box passen. Bei Drillingen wird es kompliziert. In dem Fall könnte die Kombination eines kompakten Lastenrades mit Kinderfahrradanhänger eine Lösung sein.

Die Gretchenfrage: Was ist besser – Lastenrad oder Anhänger?

Warum entweder/oder? Ich mag die „Und-statt-oder-Regel“! Beide Babymitnahmemöglichkeiten haben Vor- und Nachteile. Gerade autofreie Familien profitieren von der Wahlfreiheit und Flexibilität beides zu haben und ggf. zu kombinieren. 

Gibt es Lastenrad-Eltern und Anhänger-Eltern?

Schwer zu sagen. Was ich finde: Lastenräder haben Symbolcharakter für eine neue Elterngeneration. Lastenradfahren ist in jeglicher Hinsicht kommunikativ und verbindend. Eltern, die mit ihren Kindern Lastenrad fahren, stehen im Dialog mit dem Nachwuchs und mit ihrer Umwelt. Lastenrad fahren mit Kindern ist „Gemeinsam-Sein“, gemeinsames Welt-Entdecken auf Augenhöhe. Deswegen mag ich den Begriff „Kindertransport“ im Lastenrad-Kontext auch nicht. Ich transportiere das Kind nicht von A nach B. Nein, wir fahren gemeinsam! Lastenradfahren ist für mich beziehungsorientierte Mobilität für verbindungsorientierte Eltern.

Mom and Dad-Hacks: Was machen, wenn das Baby nicht mit will?

Zuerst die Ursache klären. Sind es äußerliche Faktoren: Blendet die Sonne? Zieht es? Ist der Boden holprig? Oder sind es innere Faktoren: Ist das Baby übermüdet, überfordert oder steckt gerade mitten in einer herausfordernden Phase? Zum Beispiel haben Lauf-Lern-Kinder oft null Bock, im Kinderwagen oder Rad platziert zu werden. Sie wollen ihren neuen Skill maximal leben! Je nach Alter des Babys und Lastenrad-Gewohnheit greifen Eltern in der ‚Ich-Will-Nicht“-Situation ganz undogmatisch zu Ablenkungsmanövern: Snacks, Schnuller, Musik bzw. Singen, White Noise… Hacks bzw. Ablenkungen sollten sich jedoch nicht zu einer Gewohnheit etablieren, die das Alltagsradeln am Ende verkompliziert.

Können Eltern das ganze Jahr mit ihrem Baby radeln?

Ja! Das machen wir auch. Die Voraussetzung ist ein dem Wetter entsprechendes Lastenrad-Setup. Im Sommer aufs Überhitzen achten: Sonnensegel nutzen, schattige Routen wählen, Mittagshitze meiden, in den Babyschalen staut sich schnell die Hitze! Im Winter ist die Fahrsicherheit des Rades zu checken: Fokus auf Bremsen, Licht und Reifen und dass das Baby es muggelig hat, also nicht unterkühlt oder überhitzt.

Wie sicher sind Lastenräder für die Babymitnahme?

Das Lastenrad als Fahrzeug muss sicher sein: Dafür gibt’s eine DIN-Norm mit „Anforderungen und Prüfverfahren“ für Lastenräder. Es ist auch eine europäische EN-Norm für Cargobikes in Arbeit. Und für eCargobikes ist das CE-Konformitätssiegel gesetzlich Pflicht. Das regelt Prüf- und Haftungspflichten der Hersteller. Wirklich problematisch ist eine nicht-fehlertolerante Infrastruktur. Ich hab’s noch nicht erlebt, dass Eltern, die ihr Baby oder Kind im Rad mitnehmen, ein risikofreudiges Fahrverhalten an den Tag legen. Was nicht heißt, dass es das nicht gibt. Ich für mich radle absolut defensiv, schaue zweimal über die Schulter beim überqueren einer Straße – denn von Rechtsabbiegern werde ich in Brandenburg regelmäßig übersehen…

Tipp!

Weiteres zum Thema Babymitnahme gibt es bei den Kolleg:innen von radfahren-mit-baby.de.

Was ist unpraktisch beim Lastenradeln mit Baby?

Viele kleine Stopps bei Alltagserledigungen können Eltern und ein sehr kleines Baby in eine Zwickmühle bringen: Das Baby darf nicht allein im Rad bleiben. Das Rein/Raus ist anstrengend. Ich hab mir mit Baby im Lastenrad neue Routinen angewöhnt: Bankomat anfahren statt in die Bank zum Geld holen, mit den Lastenrad über den Markt zum Einkaufen statt in den Laden… und ich gehe in Kontakt mit den Leuten um mich herum und bitte um Hilfe.

Welche Produkte bereichern deinen Lastenradalltag? 

  • Ein modellübergreifender, leicht zu montierender Kinderradträger fürs Rad des Geschwisterkindes. Denn dort wo früher das Kinderrad verstaut wurde, ist jetzt die Babyschale.
  • Ein Fünf-Punkt-Gurt-tauglicher warmer Schlafsack.
  • Sonnensegel! Jedes Lastenrad für den Kindertransport, sollte einfach ein leicht zu montierendes, preisgünstiges Sonnenverdeck haben.
  • Was ich nicht habe, aber praktisch wäre: Faltbare, ultraleichte Mini-Buggies – als Ergänzung zum Lastenrad. Babytragen gehören zur Standardausstattung bei der Babymitnahme im Lastenrad. Nur gibt es Situationen, da wäre ein Faltkinderwagen praktischer – z.B. beim Besuch einer öffentlichen Toilette!

Was könnte rund ums Lastenrad verbessert werden?

  1. Warum ist das Material in den Lastenrad-Boxen immer schwarz? Sitze, Verdecke, Boxen erhitzen sich bei Sonneneinstrahlung schnell und die Kids haben kann keine Lust mehr mitzufahren. Warum nicht mal eine hübsche, helle Farbe oder ein buntes Muster wählen?
  2. Kostenloses eCargobike-Sharing an Bahn/Öffi-Stationen – natürlich mit Kinder- und Babymitnahmemöglichkeit. Warum wird mir bei der Buchung eines Zugtickets ein Leihwagen angeboten aber kein eCargobike?

Hast du Wünsche oder Visionen?

Einen Wunsch, ja: Mehr Beachtung in der Branche für das Thema Familienmobilität! Es gibt mittlerweile so abgefahrene Lastenradmodelle im gewerblichen Bereich. Oft frage ich mich: Wozu braucht es diese technische Spielerei? Im Familiensektor habe ich simple Produktideen oder Vereinfachungsvorschläge, mit denen sich das Lastenradeln mit Kind komfortabler oder sicherer gestalten würde… ABER.
Und noch einen: Nämlich, dass man die Kids – auch die Babys schon – hinter der Windschutzscheibe hervorholt! Lasst Kinder an unserer Alltags-Mobilität aktiv teilhaben. Lastenradeln macht Kinder fit fürs Selberfahren!

Karen Rike Greiderer gehört zum Gründungsteam der Cargobike Roadshow, hat zwei Kinder und ist als Fahrradbotschafterin auf Instagram aktiv.


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