VW präsentiert Cargobike: Mehr als Greenwashing?

VW hat ein massives Imageproblem und das Auto in der Stadt kaum eine Zukunft. Jetzt hat VW ein eigenes Cargobike präsentiert – auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover.

Andere Aussteller hatten ihre Cargobikes auf der IAA Nutzfahrzeuge vorher angekündigt. Über ein Cargobike von VW gab es in Fachkreisen nur ein vages Gerücht. Doch dieses Gerücht war ganz gewiss nicht der Anlass für den großen Andrang bei der VW-Pressekonferenz am 19. September, dem IAA Medientag.

Eine Moderatorin übernahm die Begrüßung und kündigte den Vorstandschef von VW Nutzfahrzeuge, Thomas Sedran, an. Laute Musik ertönt. Ich ahnte schon, was kommt. Auf der Suche nach dem richtigen Halleneingang war ich wenige Minuten zuvor in den Backstage-Bereich geraten. Dort hatte ich einen Anzugträger auf Cargobike gesehen.

Und tatsächlich: Vorstandschef Sedran kommt mit einem dreirädrigen Cargobike auf die Bühne gefahren und dreht eine flotte Runde. Die Pressekonferenz beginnt mit der Vorstellung des „Cargo e-Bikes“ als erster von fünf VW Weltneuheiten.

Cargobiker Thomas Sedran, Vorstandschef von VW Nutzfahrzeuge.

Aus Marketing-Sicht ein absolut gelungener Auftritt. Auch Bike Europe zitiert unkommentiert Vorstandschef Sedran: “We are thinking ahead about sustainable mobility for our customers and for better air quality in our cities.” Äh, wie bitte!? Dieselgate komplett vergessen? Und setzt die deutsche Automobilindustrie momentan nicht ihre geballte Lobbymacht gegen schärfere CO2-Grenzwerte der EU für Autos und LKW ein?

Leider nur Satire: Cargobike-Einheit der European Air Quality Directive Enforcement Mission (EUAQDEM) zieht in Berlin Neukölln VW-Dieselfahrzeug aus dem Verkehr.

Doch zurück zum VW Cargobike. Es soll laut Pressemitteilung vom 19. September „das weltweit modernste, elektrische Lastenrad“ sein, „dessen Nutz- und Fahreigenschaften fortan die Bestmarken im Wettbewerb setzen.“ Darunter macht es ein Weltkonzern wie VW wohl nicht. In der Cargobike-Branche wird man über diesen Anspruch eines Neulings eher lächeln.

Das Cargo e-Bike ist eine Eigenentwicklung von VW in Hannover. Die auf der IAA präsentierten Modelle sind Prototypen, zu denen Konzernvertreter vor Ort kompetente Auskunft erteilten. Im Frühjahr 2019 will man mit einer Kleinserie auf den Markt gehen und preislich bei um die 5.000 Euro landen. Es soll Aufbauten zum Kindertransport und für gewerbliche Anwendungen geben. Die Lenkung kombiniert eine Achsschenkellenkung der Vorderräder mit einer über Gewichtsverlagerung funktionierenden Neigetechnik des hinteren Radteils.

Beim E-Antrieb hat sich VW für Continental (ebenfalls aus Hannover) entschieden. Verbaut ist der 48 Volt Revolution-Antrieb – ein Mittelmotor mit integriertem, stufenlosem Automatikgetriebe.

Schon 2015 hatte VW übrigens ein E-Bike vorgestellt. Der Fahrradjournalist Reiner Kolberg schrieb damals auf E-Bike Info:

Laut Produktbeschreibung am Ausstellungsstück wird das VW E-Bike durch einen inhouse entwickelten Mittelmotor mit integriertem Automatikgetriebe unterstützt. Auch wenn es inzwischen mehrere Hersteller gibt, die Schaltungen in Mittelmotoren integrieren wäre das nicht nur ein Branchennovum, sondern auch ein Highlight für E-Bike-Fahrer. Dazu kommt laut VW eine spezielle E-Bike-Bremsanlage mit Antiblockiersystem. Eine Technik, an der nach Insidern aus der Fahrradbranchen viele Hersteller arbeiten. Bislang wird sie allerdings noch nirgends eingesetzt. Damit verfügt das VW E-Bike potenziell gleich über zwei wegweisende Highlights. Voraussetzung ist natürlich, dass sie funktionieren und zur Serienreife gebracht werden.

Das VW E-Bike kam nicht auf den Markt. Und statt des damals eigens entwickelten Mittelmotors kommt beim Cargobike jetzt der Continental-Antrieb zum Einsatz. Ein Antiblockiersystem scheint heute beim Cargo e-Bike kein Thema zu sein.

Der Continental Revolution-Antrieb und Position des Akkus.

Bei der Rahmenkonstruktion hat sich VW Unterstützung von Coleo Design geholt. Das Kölner Unternehmen war bereits zuvor für VW und Continental im Fahrradbereich tätig. Das Design des Cargo e-Bikes stammt jedoch von VW selbst.*

Unrealistisch scheint das angekündigte Transportvolumen von bis zu 0,5 m³ (500 Liter) bei einer Radlänge von 2,06 Meter und einer Radbreite von 89 cm. Der bereits vergleichsweise große Kastenaufbau eines dreirädrigen Christinia Bike bringt es bei ähnlichen Radabmessungen und platzsparenderer Drehschemellenkung auf etwa 320 Liter Ladevolumen.

Als Novum wird die Kombination von Neigetechnik und stets waagerechter Ladefläche bezeichnet. Allerdings ist ein solches System bereits beim Cargonaut von Ophardt e-motion umgesetzt. Ob die VW-Variante in Kurven angesichts von Fliehkräften ein Vorteil bei der Ladungssicherung ist? Und ob die Ballonreifen als Federung ausreichen, damit die Ladung bei Unebenheiten nicht kräftig durchgeschüttelt wird?

Neigetechnik hinten und stets waagerechte Ladefläche vorne: Cargonaut Prototyp beim International Cargo Bike Festival 2017 in Nijmegen.

Erst am Tag nach der Pressekonferenz stand das VW Cargobike für Probefahrten bereit. Ein VW-Shuttle-Service brachte mich mit Diesel-Van von der IAA Nutzfahrzeuge zum etwa zehn Kilometer entfernten ADAC Fahrsicherheits-Zentrum. Ich war um kurz vor 10 der erste Tester überhaupt. Zwei Modellvarianten des Cargo e-Bikes konnte ich probefahren. Einmal mit aktivierter und einmal mit arretierter Neigetechnik des hinteren Radteils. Beim Serienmodell soll es eine Umschaltoption geben.

Testfahren auf dem ADAC Fahrsicherheitszentrum Hannover/Laatzen

Knappes Resümee meiner Probefahrten: Die Neigetechnik hat einen deutlich zu frühen Anschlag. Schnellere Kurvenfahrten sind nur begrenzt möglich, der Wendekreis ist auch bei Langsamfahrt sehr groß. Ohne Neigetechnik fuhr es sich besser. Von „Fahreigenschaften[, die] fortan die Bestmarken im Wettbewerb setzen“ sind die VW-Prototypen jedenfalls weit entfernt. Das weiß man auch bei VW und will bei Neigetechnik und Lenkung nachbessern. Ob dadurch die Fahreigenschaften deutlich besser werden? Ein VW-Vertreter drückte es so aus: Es werde auch in der Endversion sicher nicht das dynamischste unter den dreirädrigen Cargobikes – aber das müsse es ja auch nicht.

Maximaler Neigewinkel in beide Richtungen.

Noch nicht entschieden ist laut VW-Vertretern die Vertriebsstrategie. Autohaus oder Fahrradhandel, beides sei denkbar. Eine Aussage aus meinen Unterhaltungen mit sehr interessierten und engagierten VW-Vertretern ist mir besonders hängen geblieben: Das große Geld werde man mit dem Cargo e-Bike wohl nicht verdienen. Es sei aber auch ein Versuch, mit Menschen wie mir wieder ins Gespräch zu kommen.

Sehr gerne beteilige ich mich an einem Gespräch über Cargobikes als Baustein für die notwendige Konversion der Autoindustrie. Denn, um es mit einer jüngsten Überschrift aus der US-Zeitschrift The New Republic zu sagen: „The Modern Automobile Must Die. If we want to solve climate change, there’s no other option.“

Ich bin deswegen gespannt, wie ernst es VW mit seinem Cargo e-Bike meint. Wird das Rad nächstes Jahr tatsächlich in Serie gehen und traut sich der Weltkonzern damit auf die Fahrradmessen? Oder ging es VW eher um den Marketing-Gag beim IAA-Heimspiel und um ein ökologisches Feigenblatt in den Autohäusern? Dann wird das Cargo e-Bike sicherlich schnell wieder verschwinden.

Bis zum 27. September sind die Prototypen des VW Cargo e-Bikes noch auf der IAA Nutzfahrzeuge zu sehen. Andere Aussteller präsentieren auf der IAA ihre ausgereifte Cargobike-Serienmodelle – von den Nutzfahrzeug-Größen Krone/Rytle, Sortimo und Streetscooter bis zum Cargobike-Hersteller Urban Arrow.

* Edit. Notiz: In der ursprünglichen Version dieses Beitrags hieß es irrtümlich, das Design des VW Cargo e-Bikes stamme von Coleo Design. Der Passus wurde nachträglich am 24.9.2018 korrigiert.


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