Fahrradstadt Freiburg, Du kannst mehr!

Robert Schneider von LastenVelo Freiburg.

Freiburg gilt bundesweit als Fahrradstadt. Tut sich da auch was in Sachen Cargobikes? Ein Ortstermin mit Familie zwischen Weihnachten und Neujahr.

Was tun nach dem weihnachtlichen Familienbesuch in der Schweiz wenn die Kita in Berlin noch eine Woche geschlossen ist? Endlich mal Freiburg kennenlernen!

Seit drei bekannte Musiker Mitte der 90er die „Fahrradfahrer dieser Stadt“ besungen hatten bestätigten Zeitungsberichte regelmäßig mein Bild der Fahrradstadt Freiburg. Und einen langjährigen grünen Oberbürgermeister hat die Stadt ja auch. Um so überraschter war ich über das Schwarzbuch Nachhaltiger Verkehr in Freiburg vom November 2015. Der lokale Zusammenschluss von ADFC, VCD, Greenpeace und Pro Bahn kritisiert darin eine starke Zunahme des motorisierten Verkehrs und eine Stagnation der Radverkehrsförderung:

Titelseite Schwarzbuch Nachhaltiger Verkehr in Freiburg„Freiburg wurde 2011 vom Land Baden-Württemberg als „fahrradfreundliche Stadt“ ausgezeichnet. Dabei wurden zwölf Maßnahmen als Voraussetzung für die Erneuerung dieser Zertifizierung aufgelistet. Von […] zehn [untersuchten] Maßnahmen […] sind bis Mitte 2015 vier komplett umgesetzt, 2 weitere zu einem kleinen Teil und 4 weitere gar nicht. Mit dieser schwachen Bilanz droht 2016 der Entzug der Auszeichnung.
Freiburg liegt bei der Stickoxid- und Ozon-Belastung bundesweit vorne. Die EU-Kommission hat daher 2013 eine Abmahnung an die Stadt geschickt.“

Für unsere Reisevorbereitung jedoch erst mal wichtiger: über die freie Lastenrad-Initiative LastenVelo Freiburg kann ich im Voraus LastenVelo05 buchen – ein sportliches einspuriges Bullitt. Leider ist es ohne Kindersitze aber dafür umsonst und zwischen den Jahren sogar länger als die sonst maximal möglichen drei Tage ausleihbar. Nach Überweisung der Kaution kommt per Post ein Chip zur Öffnung des Rades. Klasse!

Der Fuhrpark von LastenVelo Freiburg besteht aus Bullitts und ChristianiasLastenVelo05 ist eines von momentan vier Cargobikes (je zwei Christianias und Bullitts mit Transportbox), die bei LastenVelo Freiburg nach dem Prinzip der freien Lastenräder umsonst per online-Buchung ausgeliehen werden können. Sie stehen mit Fahrradschlössern gesichert an festen Standorten im Straßenraum. Ein weiteres Christiania wurde Ḿitte Dezember gestohlen – der erste solche Verlust. Mit vier Rädern gehört LastenVelo Freiburg zusammen mit Hannah in Hannover, den freien Lastenradlern in München und Kasimir in Köln zu den bundesweit größten freien Lastenrad-Initiativen.

Fahrradlogo Stadt FreiburgAnfang Juni soll ein neues Bullitt hinzukommen – gesponsort von der Stadt Freiburg und gebrandet mit dem Logo der städtischen Radverkehrskampagne (Update vom 11. Juni 2016: Die Badische Zeitung berichtet über über die Vorstellung des neuen Cargobikes.) Apropos Branding: die anderen Räder refinanzieren sich erfolgreich über die Vermietung von Werbeflächen an lokale Unternehmen. Und wie oft werden die Cargobikes genutzt? Laut Robert Schneider von LastenVelo Freiburg waren letztes Jahr im Schnitt täglich 50 % der Räder ausgeliehen.

LastenVelo05 an seinem Standort in der KomturstraßeDoch zurück zu unserem LastenVelo05. Es hat seinen dauerhaften Standort im Stadtbezirk Stühlinger Beurbarung. Der Chip erweist sich leider als nutzlos, weil der kleine Bordcomputer noch nicht funktioniert. Letzter Stand dazu von Robert Schneider von Anfang Mai:

„Der Bordcomputer ist immer noch im Bau aber langsam wird es konkreter. Open Source wird es werden. Das integrierte automatische Rahmenschloss hat GPS-Funktion und eine Sharing Option. Die Energieversorgung läuft über einen Nabendynamo.“

Ich öffne LastenVelo05 also an einem Zahlenschloss, dessen Code ich ebenfalls zuvor erhalten hatte. Jetzt sind wir startklar für Freiburg: Meine Freundin auf einem normalen Rad mit unserer Tochter im Kindersitz, ich auf dem Bullitt mit unserem Fünfjährigen vor mir am Lenker stehend (er will es nicht anders). Dazu haben wir jede Menge Stauraum für alles was so anfällt wenn man mit Kindern im Städteurlaub unterwegs ist.

Und ja, Freiburg ist teilweise eine sehr schöne Fahrradstadt! Aushängeschilder sind die große Radstation und die Fahrradbrücke (Wiwilíbrücke) am Hauptbahnhof sowie der Dreisam-Radweg (leider wegen Baustelle bis November 2016 teils gesperrt).

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Eher irritierend sind die vielen „Fahrradabstellen verboten“-Schilder in der großen innerstädtischen Fußgängerzone. Aber auch das spricht ja dafür, dass hier – anders als jetzt zwischen den Jahren – sehr viele Fahrräder unterwegs sind. Besonders stolz ist man in Freiburg auf die Rekordzahlen an Radfahrern, die täglich die Wiwilíbrücke am Hauptbahnhof überqueren. Sie werden auf einem öffentlichen Zähler zur Schau gestellt. Die wahrscheinlich noch größere Anzahl an Autos, die auf der anderen Seite der Zählstation vorbeifährt wird leider nicht auf die gleiche Weise erfasst.

Und Cargobikes? Davon gibt es für eine Fahrradstadt im Straßenbild auffällig wenige. Selbst in der großen und teils autofreien Ökosiedlung Vauban im Süden der Stadt gibt es nur hier und da ein Cargobike zu sehen. Robert Schneider von LastenVelo Freiburg und andere Gesprächspartner bestätigen, dass der Cargobike-Trend unter Freiburger Familien gerade erst am Anfang ist.

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Im Gemeinderat hatte die kleine Fraktion Junges Freiburg bereits im August 2013 Fragen zum „Einsatz von (Elektro-)Lastenrädern in Freiburg“ an den grünen Oberbürgermeister Dieter Salomon eingereicht. Die offizielle Antwort kam vom für Verkehr zuständigen Bürgermeister Martin Haag (SPD): Lastenräder „könnten“ einen positiven Effekt zur Verminderung von Lärm- und Schadstoffemissionen in der Innenstadt haben. „Auf Grund der begrenzten Lademengen und der überwiegend auf kurze Strecken begrenzten Einsatzmöglichkeiten werden Lastenfahrräder zum […] Klimaschutz auf absehbare Zeit aber eher wenig beitragen können.“ Und: „Die Stadt sieht derzeit keine Möglichkeiten, steuernd oder regelnd auf private Unternehmen einzuwirken, um diese zu einer vermehrten Nutzung von Lastenfahrrädern anzuhalten.“ Schließlich: „Gezielte Anpassungen der städtischen Infrastruktur für den Betrieb von mehrspurigen Lastenrädern sind deswegen nach heutiger Einschätzung nicht erforderlich und wären angesichts der geringen Anzahl an Lastenrädern, die derzeit in Freiburg im Einsatz sind auch nicht angemessen.“ Etwas lahm für eine Fahrradstadt mit grünem Oberbürgermeister!

Jedoch werde man laufende bundesweite Modellprojekte und Studien beobachten, setze Lastenräder in städtischen Betrieben wie der Stadtreinigung ASF ein und plane ein neues Botenkonzept der Stadtverwaltung: „Ein Aspekt dabei ist die Umstellung der Transportmittel zum Beispiel auf Lastenfahrräder bei den innerstädtischen Boten.“

Im Februar 2016 habe ich bei der Pressestelle der Stadt per Email nachgefragt. Was hat sich denn seit dem Gemeinderatsvorgang vor mehr als zwei Jahren getan in Sachen Cargobikes? Drei Tage später erhielt ich eine freundliche Rückmeldung per Email:

„[N]ach einigem Herumfragen kann ich Ihnen sagen, dass kein Lastenfahrrad in der Stadtverwaltung eingesetzt wird. Deren Verwendung soll aber im Rahmen des neuen Rathauses, das im Freiburger Stadtteil Stühlinger gebaut wird, geprüft werden.“

Lastenrad der Freiburger Stadtreinigung ASF. Dank für das Foto an Dieter Bootz.

Informierter und thematisch sehr interessiert reagierte Dieter Bootz, der bei der Stadtreinigung ASF für Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Wir hatten zwei nette Telefonate. Bei der ASF wurde vor nicht langer Zeit ein dreirädriges großes Cargobike angeschafft – allerdings mit einer für den Einsatz bei der Stadtreinigung eher unpraktischen Rikscha-Sitzbank als Aufbau. Über den Winter stand das Rad leider ungenutzt im Betriebshof. Wieso? Es gab einen längeren krankheitsbedingten Ausfall des einzigen Mitarbeiters, der es gerne und regelmäßig fuhr. Jetzt hat sich ein neuer motivierter Mitarbeiter gefunden und seit Anfang Mai ist das Rad wieder regelmäßig zum Einsammeln von verstreutem Müll in der Innenstadt unterwegs. Wenn sich der Einsatz bewährt könnten mehr Cargobikes angeschafft werden – dann auch mit besser geeignetem Aufbau.

Insgesamt ergibt sich aber ein enttäuschendes Bild, was die Förderung von Cargobikes in der Fahrradstadt Freiburg angeht. Das gilt um so mehr, als die neue RADstrategie des Landes Baden-Württemberg sehr stark auf die Förderung von Cargobikes setzt. Das bereits erwähnte Schwarzbuch Nachhaltiger Verkehr in Freiburg stellt fest:

„Andere Städte führen Pilotprojekte zum Einsatz von (E-)Lastenrädern durch. In Freiburg wurde ein City-Logistikkonzept zwar seit Jahrzehnten mehrfach angeregt, aber weder Mittel noch Personal dafür bereitgestellt.“

Promotion-Foto VeloKurier Freiburg

Doch wo die Fahrradstadt den Lastenrad-Trend verpennt treiben ihn kleine Freiburger Unternehmen und Initiativen wie LastenVelo Freiburg in Eigenregie voran. Das Fahrradkurierunternehmen VeloKurier ist bereits mit zwei Bullitt- und einem Omnium-Cargobike unterwegs. Man sieht großes Potential im Ausbau der Cargobike-Flotte. Anfang Mai wurde ein erster dreirädriger Schwertransporter bestellt.

Ein weiterer Cargobike-Pionier in Freiburg ist Dominik Rombach. In einer Doppelgarage im nahen Denzlingen betreibt er seit 2010 nebenberuflich das Cargobike-Fachgeschäft Packrad. Der Verkauf zieht kontinuierlich an erzählt er mir am Telefon. Doch die vergleichsweise geringe Händlermarge bei Cargobikes, ihr größerer Platzbedarf und das sehr hohe Freiburger Mietniveau halten ihn noch davon ab, ein Ladengeschäft in der Stadt zu eröffnen. Neben einzelnen Cargobikes in ein paar normalen Freiburger Fahrradgeschäften bietet noch der Fahrradladen RADieschen im Ökostadtteil Vauban eine breitere Auswahl an Cargobikes.

Mein persönliches Cargobike-Highlight in Freiburg ist der Besuch bei Markus Bergmann (mabe) von Carla Cargo. In klassicher Start-up Manier hat mabe einen dreirädrigen elektrifizierten Schwerlastanhänger in seiner Garage in Gundelfingen entwickelt. Wir haben uns zu einer Promotion-Fahrt mit dem finalen Carla Cargo-Prototypen verabredet. Mit dabei ist mabes Team-Kollege Erich. Er war von der Idee Carla Cargo so fasziniert, dass er von Gießen nach Freiburg zog, um jetzt für Elektronik und Marketing zuständig zu sein.

1171_477619555778329_741387750897959461_nDie orange Carla wird angehängt an eine schnell montierte Anhängerkuppel am Sattelrohr des ebenfalls orange Bullitts von LastenVelo Freiburg. Dessen Werbeaufschrift „KombiNat“ kommt dabei zu ganz neuer Bedeutung. Los geht’s! Ich bin das letzte Mal zu Schulzeiten mit einem kleinen klapprigen Fahrradanhänger unterwegs gewesen. Das Bullitt-Carla Cargo-Gespann fährt sich dagegen außerordentlich gut und leicht. Durch die drei Räder und einen niedrigen Schwerpunkt liegt der Anhänger sehr stabil in der Spur. Die Kombination aus automatischer Auflaufbremse und Pedelec-Antrieb lässt das Zusatzgewicht fast vergessen. Nur Erich kommt nach einigen Kilometern ins Schwitzen. Er kutschiert den filmenden mabe auf einem unmotorisierten Longjohn Marke Eigenbau.

Am Lager der GartenCoop. Erich und mabe von Carla Cargo.

Von Gundelfingen aus fahren wir zehn Kilometer durch Freiburg durch bis zum Ökostadtteil Vauban. Dort befindet sich das Depot der GartenCoop Freiburg. Sie versorgt ihre 290 Mitglieder wöchentlich mit regional angebautem Gemüse. Heute ist Liefertag. Das Gemüse wird in standardisierten Kisten mit dem Lieferwagen zum Depot geliefert. Von hier aus fahren es eingeteilte Mitglieder mit großen auf die Gemüsekisten abgestimmten Fahrradanhängern zu dezentralen Abholstationen im ganzen Stadtgebiet. City-Logistik at its best!

IMG_20151230_144956Was die simplen selbstgeschweißten Anhänger der GartenCoop wegschaffen ist beeindruckend. Hier hat sich mabe für Carla Cargo inspirieren lassen. Carla Cargo bringt Schwerlast-Transporte per Fahrradanhänger jetzt auf ein neues professionelles Niveau. Einige namhafte Unternehmen sind bereits im Prototypen-Stadium in mabes Garage vorstellig geworden. Inzwischen ist die erste Kleinserie auf dem Markt.

IMG_20151230_164857Wir beladen unsere Carla bis zu einer Höhe von 1,50 Metern mit Gemüsekisten. Schwere Kartoffelkisten unten, leichte Grünkohlkisten oben und los geht’s mit bestimmt 100 Kilogramm Zuladung. Jetzt bin ich sehr froh über ein weiteres Feature von Carla: die elektrische Anfahrthilfe per Daumengas! Ansonsten ist die Fahrt bei ein wenig Vorsicht auf Fahrbahnschäden und kleinere Bordsteine auch im schwer beladenen Zustand kein Problem.

Bei einem Zwischenstopp in der Innenstadt teste ich die beladene Carla in der Fußgängerzone als elektrisch unterstützten Handwagen. Ein echtes Plus gegenüber großen Lastenrädern wenn in eine Fußgängerzone mit dichtem Fußgängerverkehr geliefert werden muss.

Aber jetzt genug des Lobes für Carla Cargo! Mehr zu sehen und zu hören von mir gibt es im Carla Cargo-Promotionvideo, das an diesem Tag entstand.

IMG_20151229_141441Noch ein weiteres Cargobike stammt aus der Nähe von Freiburg. Den einspurigen Hecklader Roc-Ket von Thomas Ketterer aus Freiburg-Waltershofen hatte ich bereits nach der EUROBIKE 2015 hier vorgestellt. Das Hinterrad mitten in der Ladefläche oder -box bleibt allerdings ein Manko des hauptsächlich für gewerbliche Transporte konzipierten Roc-Ket.Inzwischen arbeitet Thomas Ketterer gemeinsam mit interessanten Partnern an einer vielversprechend klingenden Cargobike-Neuentwicklung. Dafür hat er kürzlich die Roc-Ket CARGO Bikes GmbH gegründet. Ich bin gespannt!

Auf kurzer ruhiger Strecke durften die Kids auch mal in die Box. Legaler Kindertransport auf dem Cargobike braucht aber sichere Kindersitze.

So, jetzt ging es in diesem Beitrag mal wieder viel um große Transporte und den gewerblichen Einsatz. Dabei war ich in Freiburg selbst die ganze Woche mit Familie und Cargobike unterwegs. Einen ganz großen Dank nochmal an LastenVelo Freiburg für den tollen kostenlosen Verleihservice! Und vielleicht ist das neue Bullitt, das die Stadt für LastenVelo Freiburg stiftet ja der Beginn einer engagierten Cargobike-Förderung durch die Fahrradstadt Freiburg?

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