Neue Broschüre: Sichere Kinderbeförderung auf dem Lastenrad

Bild: Bundesanstalt für Straßenwesen (bast)

Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat Empfehlungen zur sicheren Kinderbeförderung auf Cargobikes veröffentlicht. Trotz Mankos eine wichtige Broschüre!

Immer mehr Eltern sind mit ihren Kindern per Lastenrad unterwegs und schätzen Komfort und gemeinsamen Fahrspaß dabei. Hinweise auf eine erhöhte Gefährdung der Kinder durch Unfälle gibt es nicht. Das Gegenteil scheint der Fall: Lastenräder werden im Verkehr besser wahrgenommen und respektiert als klassische Fahrräder, tiefe Sitzposition und Box schützen Kinder bei einem Sturz.

Dennoch haben viele Eltern berechtigte Fragen zur Kinderbeförderung auf Lastenrädern. Hinzu kommt Verunsicherung durch Angstmacherei in Medien wie Auto Motor Sport (Ausgabe 20/2020: Lastenräder – Das große Risiko?), die meist auf einer Falschmeldung zum Unfalltod von vier Kindern 2018 in den Niederlanden basieren. Das Unfallfahrzeug war hier kein Lastenrad sondern ein vollelektrischer Stehroller. Im Gegensatz zu tagesschau.de und anderen Medien hat Spiegel Online seine Falschmeldung dazu nachträglich korrigiert.

Auf Anfrage der grünen Bundestagsfraktion hatte die Bundesregierung im Februar 2021 ausführlich zur Sicherheit von Kindern auf Lastenrädern Stellung bezogen. Dabei kündigte sie auch entsprechende Empfehlungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) an, die dem Bundesverkehrsministerium untersteht.

BASt-Broschüre

Die BASt hat am 27. Mai nun per Pressemitteilung ihre Broschüre „Kinderbeförderung auf Lastenfahrrädern“ vorgestellt. Die 20seitige Broschüre gibt Empfehlungen, deren Kurzzusammenfassungen hier dokumentiert sind:

Hohes Gesamtgewicht

Für Lastenfahrräder gelten die gleichen Anforderungen wie auch für herkömmliche Fahrräder. Durch die Möglichkeit der Zuladung, und auch der Beförderung von Kindern, ist jedoch auf das zulässige Gesamtgewicht und die damit einhergehende höhere Belastung von Rahmen und Bremsen zu achten.

Kippsicherheit

Einspurige Lastenfahrräder können im Stand schneller kippen als mehr­spurige Lastenfahrräder. Mehrspurige Lastenfahrräder können bei Kurven­fahrten schneller kippen.

DIN Standard

Der Rahmen muss den Belastungen standhalten und darf nicht über seine maximal zulässige Traglast hinaus beladen werden. Es sollte darauf geachtet werden, dass das Lastenfahrrad die technischen Anforderungen der DIN 79010 erfüllt.

Sitzplätze

Sitzplätze für Kinder müssen vor aufgeschleuderten Gegenständen wie Steinen geschützt werden und gefährliche Stellen wie Räder sich außerhalb der Erreichbarkeit der Kinder befinden.

Für jedes Kind muss ein eigener Sitzplatz mit Gurt­system vorhanden sein.

Anschnallen & Helmtragen

Jedes Kind muss während der Fahrt mit dem entsprechenden Gurtsystem in seinem Sitz gesichert sein. Hinweise zur Verwendung der Gurte sind auch den Herstellerangaben zu entnehmen.

Jedes Kind muss auf seinem Sitzplatz mit dem Gurtsystem gesichert werden und einen Fahrradhelm tragen.

Übung

Die Nutzung des Lastenfahrrades muss geübt werden, um eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr zu ermöglichen. Bei Interaktionen mit anderen Verkehrsteilnehmern ist das größere Ausmaß des Lastenfahrrades zu berück­sichtigen.

Die BASt-Empfehlungen enthalten einige wichtige Detailhinweise zum Beispiel zu Gurten (mindestens 2,5 cm breit und 3-Punkt-System) sowie Kindersitzen (Rückenlehne). Auch gibt es am Ende eine „Checkliste zur Auswahl eines Lastenfahrrades“.

BASt-Empfehlungen und Gesetzeslage Kinderbeförderung

Leider stiften die Empfehlungen an einigen Stellen Verwirrung. Denn die BASt will bewusst nicht zwischen Gesetzeslage und Empfehlung unterscheiden. Im Vorwort heißt es dazu lediglich:

Geschilderte Anforderungen ergänzen die geltenden gesetzlichen Anforderungen, sind aber nicht verpflichtend anzuwenden, sondern stellen vielmehr eine Empfehlung für den sicheren Transport von Kindern auf Lastenfahrrädern dar.

Das betrifft zum Beispiel das Anschnallen der Kinder und das Tragen eines Fahrradhelms. Beides ist gesetzlich bei der Kinderbeförderung auf Fahrrädern nicht vorgeschrieben, wird aber in den Empfehlungen der Broschüre (siehe oben) als „muss“ beschrieben. Auf Nachfrage von cargobike.jetzt schreibt die BASt dazu:

Um die Broschüre als kompakte und verständliche Informationsquelle zu gestalten, wurde auf Abwägungen, Diskussionen und weitere Erläuterungen verzichtet. Auch die Verwendung relativierender Begriffe wie „sollte“ wurde vermieden, um eine konkrete Antwort auf die Frage „Wie schütze ich die Kinder?“ zu geben.

Email-Auskunft der BASt gegenüber cargobike.jetzt vom 2. Juni 2021

Ob das nicht mehr Fragen aufwirft als klärt? Zumal es in der Broschüre an anderer Stelle heißt: „Auch erwachsene Aufsassen von (Lasten-) Fahrrädern sollten [!] ihren Kopf durch einen Fahrradhelm schützen.“ Im Fall von Erwachsenen wird also der Gesetzeslage entsprechend „sollten“ statt „müssen“ verwendet. Denn eine Helmpflicht gibt es in Deutschland nicht. Anders in Österreich. Hier gilt für Kinder bis 12 Jahre eine Helmpflicht auf dem Fahrrad – egal ob sie selber fahren oder auf dem Fahrrad, Lastenrad oder im Anhänger mitfahren.

Bundesregierung: Kein weiterer Regelungsbedarf bei Kinderbeförderung

Die deutsche Bundesregierung hatte im Februar 2021 einen weitergehenden Regelungsbedarf zum Kindertransport auf Fahrrädern in Deutschland verneint:

Auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse beabsichtigt die Bundesregierung nicht, den Personentransport weiter verhaltensrechtlich zu regulieren, da die bisherigen Regelungen als ausreichend erachtet werden. […]

[Auch eine] weitergehende Regulierung der technischen Anforderungen für Fahrräder, auf denen Kinder transportiert werden, ist auf Verordnungsebene […] derzeit nicht geplant.

Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion vom 9. Februar 2021

Stattdessen verwies die Bundesregierung auf die anstehenden Empfehlungen der dem Bundesverkehrsministerium unterstehenden BASt. Zwischenzeitlich fordert jedoch ein Beschluss des Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) „die Regelungen für die Mitnahme von mehreren Kindern auf Fahrrädern (auch sogenannten Lastenrädern) in der StVO zu präzisieren.“ Diese Debatte wird uns die nächsten Jahre sicherlich noch beschäftigen. Alle Beteiligten sollten sie sachlich anhand konkreter Erfahrungen und Untersuchungen und jenseits von Angstmacherei führen.

Und der Babytransport?

Eine zweite wichtige Einschränkung der BASt-Broschüre betrifft den Babytransport:

[D]ie vorliegende Broschüre [beschränkt sich] auf die Beförderung von Kindern im Alter zwischen 9 Monaten und 7 Jahren, die ohne fremde Hilfe sitzen können.

Auch hier liegt keine gesetzliche Vorgabe vor. Eine Altersbeschränkung beim Personentransport auf Fahrrädern gibt es in Deutschland nicht – weder für Babys noch (seit der StVO-Reform 2020) für größere Kinder oder Erwachsene. Da aber weder die europäische Norm für Kinderanhänger noch die DIN Norm für Lastenräder die Mitnahme von Kleinkindern unter 9 Monaten behandelt spart auch die BASt-Broschüre Babytransport leider aus.

Dabei wird Babytransport auf dem Lastenrad immer stärker nachgefragt und praktiziert. Immer mehr Hersteller bieten dafür Lösungen – meist mit Babyschalen in Isofix-Halterungen. Informationen und Empfehlungen liefert das Projekt „Radfahren mit Baby„. Das vom Bundesverkehrsministerium geförderte Projekt wird in der BASt-Broschüre jedoch leider nicht erwähnt. cargobike.jetzt setzt sich dafür ein, dass der Babytransport bei der entstehenden EN-Norm für Cargobikes endlich berücksichtigt wird.

Fazit und Ausblick

Trotz fehlender Unterscheidung zwischen Gesetzeslage und Empfehlung sowie der Aussparung des Babytransports ist die BASt-Broschüre ein wichtiger Meilenstein. Zwar werden erfahrene und überzeugte Cargobiker:innen die Broschüre über weite Strecken banal finden und sich zu Recht an der Suggerierung einer Helmpflicht stören.

Aber für Eltern, die offene Fragen und Unsicherheiten haben, gibt es jetzt die staatliche Bestätigung: Ja, Kindertransport auf dem Lastenrad ist sicher – wenn ihr euch an die offiziellen BASt-Empfehlungen haltet!

Die BASt-Broschüre ist auch wichtig, um den verstärkt auftretenden Angstmachern in interessierten Medien (siehe oben) etwas entgegenzusetzen. Und sie ist wichtig, damit es im schnell wachsenden Cargobike-Markt keine schwarzen Schafe bei Herstellern und im Handel gibt, die beim Thema Kindersicherheit nachlässig sind oder gezielt sparen.

Was die Broschüre jedoch nicht leisten kann und auch nicht erwähnt: Wer die Sicherheit aller Kinder und Erwachsener, die zu Fuß, mit dem Rad oder im Auto unterwegs sind verbessern will sollte sich für bessere Radverkehrsinfrastruktur, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts und generell weniger Kfz-Verkehr einsetzen. In diesem Sinne ist jedes Lastenrad, das ein Auto ersetzt ein Sicherheitsgewinn für alle!


Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung des Projektes CityChangerCargoBike. Das Projekt wurde mit Mitteln aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union unter der Fördervereinbarung Nr. 769086 finanziert.


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