Die schönsten Cargobike-Kritiken 2017

„Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, demonstriert mit einem Lastenfahrrad die absurde Vorstellung, man könnte auf große LKW für Baumaßnahmen verzichten.“
Bild: obs/(c)ZDB/Thomas Ruffer; Bildunterschrift: ZDB

Auch der Cargobike-Trend braucht seine Kritiker. Da darf gerne auch mal pauschal und ahnungslos rumgeholzt werden. We love it! Hier meine Highlights des Jahres 2017.

Im Bereich private Nutzung war die Kritik dieses Jahr rar. Mir gefiel vor allem ein Beitrag in der Hamburger Morgenpost im Oktober. In der Glosse Lastenrad – von peinlich bis praktisch beschreibt der Autor, was er sich unter einem Cargobike vorstellt:

Ihr wisst schon, die unförmig zusammengeschraubten Dinger, mit denen man erst die Kinder zur Kita, später die Getränkekisten nach Hause und zwischendurch so ziemlich alle anderen Verkehrsteilnehmer gegen sich aufbringt. Auf denen man immer zu aufrecht sitzt und die wegen ihrer Überbreite ungefähr so beliebt sind wie Studienräte auf Liegefahrrädern.

So schön der Autor hier vom Leder zieht, er verheddert sich leider im weiteren Verlauf, und man fragt sich am Ende, ob der Autor eigentlich lieber einen Geländewagen oder ein Cargobike hätte. Mir geht es wie einem Kommentarschreiber auf meiner Facebook-Seite:

Ich habe auch beim dritten Mal Lesen nicht raus, was er will …“

Unerreicht blieb 2017 dieses Meisterwerk der Focus Online-Redaktion vom Juni 2016:

Hipster-Eltern mit Lastenrädern: Hört bitte auf, eure Kinder in Schubkarren zu transportieren
Sie schwanken wie Schiffe auf stürmischer See. Ihre Höchstgeschwindigkeit ist fünf km/h. Sie blockieren Gehwege. Und verstopfen Radwege. Trotzdem erfreuen sie sich erstaunlicher Beliebtheit: Lastenräder. Früher wurden damit Säcke transportiert. Heute Kinder. Warum nur?

Ja, warum nur? Weil Alternativen zum Cargobike den Hipstern „unpraktischer und weniger stylish“ vorkommen, weiß die Autorin zu berichten. Interessant! Also sind Cargobikes doch praktisch und stylish? Aber fünf km/h mit Schubkarre – ist das wirklich was für stylishe Hipster? Und wer sind diese üblen Hipster überhaupt? Ein Beitrag von ZEITjUNG erklärt:

Die „Hipster-Karte“ wird immer dann ausgespielt, wenn es um eine Gruppe junger Menschen geht, die anders ist als der Rest. […] Es ist der Neid, der uns dazu bringt, andere so zu nennen. Wir sind neidisch auf den Mut dieser Menschen. Sie zeigen uns in persona unser Unvermögen. Das Unvermögen, Risiken einzugehen und in der Gesellschaft etwas Neues zu wagen. Sie entwickeln neue Trends, probieren sich aus und scheißen auf die Meinung anderer. 

Wechsel ins Ressort Wirtschaftsverkehr

Hier gab es 2017 deutlich mehr Cargobike-Kritiker. Angefangen bei inzwischen Ex-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Im Mai mahnte er auf der nationalen Konferenz Güterverkehr und Logistik laut Fachzeitschrift Logistra,

man solle sich auf die bisherige Stärke der Logistik besinnen und nicht „zu sehr auf die Kraft von Rikschas und Lastenrädern setzen, wie das Teile der Politik tun.“

Ob Dobrindt damit auch sein eigenes Ministerium meinte, ist nicht überliefert. Das Bundesverkehrsministerium hatte Ende 2015 die Förderung von Cargolbikes in den Aktionsplan Güterverkehr und Logistik der Bundesregierung aufgenommen und 2016 eine Studie zum Potential von Fahrrädern im Wirtschaftsverkehr vorgestellt.

Dobrindts Staatssekretärin, Dorothee Bär, bei Studienpräsentation im BMVI. Foto: cargobike.jetzt

Ganz besonders verdient gemacht als Cargobike-Kritiker hat sich 2017 die Fuhrgewerbe-Innung Berlin-Brandenburg. Anlass war der Koalitionsvertrag des neuen rot-rot-grünen Berliner Senats:

Die Koalition wird ein neues Konzept für den Wirtschaftsverkehr (Citylogistikkonzept) erarbeiten. Innerstädtische Transporte sollen nach Möglichkeit gebündelt und auf umweltfreundliche Verkehrsmittel verlagert werden. Dazu gehört die Entwicklung von »Urban Hubs« und die Belieferung auf der »letzten Meile« mit Lastenfahrrädern, die schienenseitige Erschließung geeigneter Gewerbe- und innerstädtischer Logistikstandorte sowie die Nutzung der Wasserwege für die Belieferung der Innenstadt.“

Wenn das alles umgesetzt wird, ja, was sollen die Unternehmen der Fuhrgewerbe-Innung denn dann noch mit Ihren schönen LKW anfangen? Die Verteidigungsstrategie der Fuhrgewerbe-Innung: Erstmal das Thema Cargobikes aus dem Gesamtkonzept isolieren und deren Transportkapazität lächerlich machen. Also organisierte sich der Verband ein paar Cargobikes und drehte ein elfminütiges Video mit ein paar lustigen Cargobike-Szenen und abschreckenden Rechenbeispielen (ab Minute 6:12). Die im Koalitionsvertrag genannten »Urban Hubs« – eine wesentliche Voraussetzung für das Zustellen großer Mengen kleinteiliger Sendungen per Cargobike – kommen im Video ebenso wenig vor wie die Nutzung von Gleisanlagen und Wasserwegen für die Belieferung der Innenstadt. Kurz nach Veröffentlichung von Video und Pressemitteilung am 29. September nahm der Verband das Video wieder aus dem Netz. Es dauerte über zwei Wochen, bis das Video in neuer Version hochgeladen wurde. Nun sind die Logos eines öffentlich geförderten Cargobike-Projekts auf eingesetzten Cargobikes unkenntlich gemacht (siehe ab Minute 6:12).

Thermenchallenge in Österreich und Deutschland

Die Wirtschaftskammer Wien kritisierte im Januar per Pressemitteilung die angekündigte Cargobike-Förderung der Stadt Wien:

Auch für Maria Smodics-Neumann, Obfrau der Sparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Wien, gehen Transportfahrräder am Thema vorbei. Handwerksbetriebe werden durch die Parkraumbewirtschaftung und Anrainerzonen in ihrem Lieferverkehr laufend behindert. „Was wir brauchen, sind keine Fahrräder, sondern eigene Lieferzonen, Wirtschaftsverkehrsspuren und praxisnahe Ausnahmeregelungen bei Kurzparkzonen und Anrainerzonen“, sagt Smodics-Neumann. „Glaubt wirklich jemand, dass beispielsweise ein Installateur eine Gastherme mit dem Fahrrad liefern kann?“

„Nicht nur, dass wir das glauben – das können wir auch beweisen!“, verkündete die Radlobby Österreich und lieferte gleich zwei Gasthermen à 50 Kilogramm per Cargobike zur Wirtschaftskammer. Hier das Video.

Das Social Media Team der Wirtschaftskammer ruderte in einem Facebook-Kommentar zurück:

Hoffentlich ist Ihnen aber klar, dass es unserer Spartenobfrau weniger um die wortwörtliche Frage ging, ob man mit einem Lastenrad zwei Thermen transportieren kann, als vielmehr um die allgemeine Frage, inwieweit Verkehrspolitik auch auf die Notwendigkeiten des Wirtschaftsverkehrs Rücksicht nimmt.

Am Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) ist die Wiener Thermenchallenge wahrscheinlich vorbeigegangen. Denn am 18. Oktober verkündete der Verband auf Twitter und Facebook das „Zitat der Woche“ seines Präsidenten Hans-Peter Wollselfer:

Es wird auch in Zukunft nicht möglich sein, Heizkessel auf dem Fahrrad oder in der U-Bahn zu transportieren.

In zahlreichen Social Media-Kommentaren erhielt der ZDH Aufklärung über Transportkapazitäten von Cargobikes.

Übrigens war auch die Wiener Thermenchallenge nicht die erste ihrer Art. Bereits im Mai 2015 hatte im Stadtrat von Hannover der FDP-Ratsherr und Klempner Wilfried Engelke laut Hannoverscher Allgemeine Zeitung gefragt: „Wie soll ich als Handwerker einen 40-Kilo-Heizkörper mit dem Rad ausliefern?“ Die Grüne Ratsfraktion machte es vor und erklärte via Pressemitteilung:

Um zu zeigen, dass es auch für HandwerkerInnen Alternativen zum Auto gibt, ließen die GRÜNEN symbolisch einen Heizkörper vom Fahrradkurierunternehmen „Radz Fatz“ zum Rathaus liefern. Zur Verdeutlichung der Vorteile flexibler Verkehrsmittelwahl war mit Trockenausbaumeister Mark Kühne ein Handwerker bei der Aktion anwesend, der ein Lastenrad als Firmenfahrzeug nutzt: „Am ersten Tag bringe ich das Material mit einem Transporter auf die Baustelle. An den Folgetagen komme ich mit meinem Werkstattrad, auf dem ich alles Nötige unterbringen kann. So macht auch die Fahrt zur Arbeit Spaß.“

Thermenchallenge in Hannover. Foto: Bündnis 90 / Die Grünen, Stadtverband Hannover

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